DAS STÜCK
Eigentlich ist es nur eine Formsache: Die Mitgliederversammlung eines Tennisclubs soll über die Anschaffung eines neuen Grills abstimmen. Normalerweise kein großes Problem – gäbe es nicht den Vorschlag, zusätzlich einen zweiten Grill für das einzige türkische Mitglied des Clubs zu finanzieren. Denn gläubige Muslime dürfen ihre Grillwürste bekanntlich nicht auf einen Rost mit Schweinefleisch legen. „Kann das türkische Mitglied nicht einfach den alten Grill für seine Halal-Wurst benutzen?“ Die Diskussion bei der Vereinssitzung wird von einer scheinbar einfachen und schnell abzuwickelnden Formsache zur Zerreißprobe, die im Laufe des Stückes immer heftiger und persönlicher wird. Wieviele Rechte muss eine Mehrheit einer Minderheit einräumen? Kann man Religionen tolerieren, auch wenn man sie persönlich ablehnt? Gibt es auch am Grill so etwas wie eine Leitkultur?
Die Zuschauer:innen sind als Vereinsmitglieder direkter Teil des Geschehens und erleben hautnah mit, wie sich eine Gesellschaft komplett zerlegen kann. Ebenso respektlos wie komisch stoßen Atheist:innen und Gläubige, Einheimische und Türken, Gutmenschen und Hardliner frontal aufeinander. Die Zuschauer:innen (= Vereinsmitglieder) haben daher auch immer wieder die Möglichkeit, sich aktiv in das Geschehen einzubringen und damit den Fortgang des Stückes entscheidend mitzubestimmen.
Und schnell wird klar: Es geht um mehr als nur um einen Grill… Es geht darum, wie wir zusammenleben. Extrawurst wird daher trotz aller (oft unfreiwilligen) Komik zu einer ernsthaften Auseinandersetzung über kulturelle Toleranz, Political Correctness, Diversität, Wokeness, Religion, Gleichberechtigung und vieles mehr. Und es offenbart die ganze Bandbreite möglicher Vorurteile zum aktuell alles beherrschenden Thema Migration. Dabei kommen die Argumente bei all dem Spaß mit so viel Hintersinn daher, dass einem zwischendurch immer wieder einmal das Lachen vergeht und man sich im Kugelhagel des verbalen Schlagabtausches selbst ertappt fühlt. Denn auch als bekennender Gutmensch kommt man scheinbar um das eine oder andere Vorurteil nicht herum.
Jede Rolle im Stück steht für eine gesellschaftliche Gruppe: Melanie ist dank ihrer Wokeness eine engagierte Kämpferin für die Rechte von Minderheiten, der Vorsitzende Herbert ein selbstverliebter Machtmensch, sein Vize Matthias neigt zu rechtspopulistischen Sprüchen, will aber eigentlich nur über Patriotismus sprechen, Melanies Ehemann Torsten ist ein cooler Hipster mit Hang zum Zynismus und Erol, der Migrant der zweiten Generation, beschwert sich über eine zu lasche Migrationspolitik. Doch sie alle zeigen im Laufe des Stückes auch andere Seiten und wirken einmal mehr, einmal weniger sympathisch. Die Trennlinie zwischen rechten und linken, zwischen moralischen und unmoralischen Positionen geht ja nicht nur durch die Wählerschaft oder durch die Gesellschaft, sie geht auch durch die einzelnen Personen selbst durch.
So entwickelt sich das Stück im Laufe des Abends zu einer Grundsatzdiskussion, bei der verschiedene Weltanschauungen aufeinanderprallen und am Ende jedes Wort, das nur irgendwie falsch verstanden werden kann, vom Gegenüber auch falsch verstanden wird. Ob der vollkommen zerstrittene Tennisclub am Ende je wieder zusammenfinden kann, bliebt dabei offen.
„Diskutieren, sich zuhören und das alles mit dem Willen, sich nicht zu zerlegen, sondern zu sagen, wir können uns trotz aller Gegensätze noch in die Augen sehen. Und wir können auch bei einer kontroversiellen Diskussion noch Freunde bleiben“, das wäre für die Autoren ein möglicher Lösungsansatz. Davon sind die Akteure des Stückes leider meilenweit entfernt.
DIE AUTOREN
Die beiden Autoren Dietmar Jakobs und Moritz Netenjakob gehören zu den besten im Bereich der satirischen Gesellschaftsanalyse in Deutschland.
Dietmar Jakobs war als Drehbuchautor an so erfolgreichen Serien wie „Stromberg“, „Pastewka“ oder „Mord mit Aussicht“ beteiligt. Dazu schreibt er regelmäßig für die Satire-Sendungen Extra 3 (ARD), heute show (ZDF) und Mitternachtsspitzen (WDR). 2006 erhielt er für seine Mitarbeit bei „Stromberg“ den Adolf-Grimme-Preis in der Kategorie „Serien und Mehrteiler“.
Moritz Netenjakob ist ebenfalls als Autor u. a. für „Die Wochenshow“ und für „Ladykracher“ tätig. Neben erfolgreichen Drehbüchern veröffentlichte er im Februar 2009 im Verlag Kiepenheuer & Witsch seinen Romanerstling „Macho Man“, der es auf die SPIEGEL-Bestsellerliste schaffte. Für die Verfilmung 2015 schrieb er selbst das Drehbuch. 2006 erhielt er für seine Mitarbeit an den Stromberg-Drehbüchern ebenfalls den Adolf-Grimme-Preis.
Zusammen mit Dietmar Jacobs schrieb Netenjakob 2019 die Komödie „Extrawurst“ sowie 2021 das Musical „Himmel und Kölle“.